Neugestaltung einer straßenraumübergreifenden, inklusiven Spiellandschaft an der Krautstraße
Bild: B. Gericke
Interview mit Landschaftsarchitekt Volker Röhrs von geskes.hack.landschaftsarchitekten
Wir stehen hier vorm Bauzaun und hinter uns kippt gerade ein großer Laster Spielsand in die Grube. Sind Sie mit dem Baufortschritt zufrieden?
Volker Röhrs: Oh ja, es ist immer wieder ein besonderer Augenblick, zu erleben, dass aus unserem Plan vom Schreibtisch ein neues Stück „Landschaft“ entsteht. Vor wenigen Wochen ragten noch die Fundamente für die Spielgeräte aus dem Boden, nun sind alle bereits montiert. Im September wurde hier am ersten Bauabschnitt (westlich der Krautstraße) begonnen. Wenn Spielplatz und Geräte baulich und technisch abgenommen sind, kann im Frühsommer schon gespielt werden. Darauf freue ich mich sehr.
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Erst „Der 35. Mai“ und nun die „Fernen Galaxien“. Entwerfen Sie immer Traumwelten für Kinder?
Volker Röhrs: Spielplätze sind für Landschaftsarchitekten generell sehr interessante Planungsaufgaben. Dass ich 2017 am Entwurf und der Bauüberwachung der Spielplätze auf dem IGA-Gelände mitarbeiten durfte, war schon etwas Besonderes. Dort lautete das Thema „Der 35. Mai oder Konrad reitet in die Südsee“ nach dem gleichnamigen Kinderbuch von Erich Kästner und entsprechend der märchenhaften Reise von Konrad sehen die Plätze so unterschiedlich aus. Der Elektropolis-Spielplatz am Parkeingang basiert auf utopischen Vorstellungen zu einer Elektrostadt, die polynesischen Riesenameisen mit Konrads Holzpferd holen die Kinder aus ihrer Elektrostadt zurück in die weite Landschaft. Ich bin nach wie vor begeistert, wie schön sich die Spielgeräte aus Holz in den Naturraum einfügen. Für die Plätze auf der IGA haben übrigens Kinder vorher Modelle gebaut. Davon haben wir uns bei der Gestaltung stark leiten lassen.
Auch hier an der Krautstraße unweit vom Ostbahnhof werden die beiden Spielplätze über das Programm Nachhaltige Erneuerung gefördert. Worin unterscheidet sich dieses Vorhaben von den „Gärten der Welt?“
Volker Röhrs: Zunächst einmal vom Umfeld: In Marzahn konnten wir die noch unfertige Landschaft großflächig umgestalten. Hier in Friedrichshain gab es bereits diese beiden stark genutzten Spielflächen. Drum herum zieht sich dieser lange Elfgeschosser aus den 70er Jahren. Gegenüber steht noch ein einziger Gründerzeitbau und hinter uns der Kindergarten Leonardo. Das ist eine dicht bebaute, sehr inhomogene Stadtstruktur, die sogar noch weiter verdichtet wird, wenn man sich das Baugeschehen vor Augen führt. Der Bedarf an Freiräumen ist da, die Möglichkeiten, neue zu schaffen, eher eingeschränkt. Deshalb bin ich froh, dass wir die naturnahen Flächen um den Platz herum erhalten können.
Bild: B. Gericke
Kommen wir zurück auf das Thema „Reise in ferne Galaxien“. Stammt diese Idee von Ihnen?
Volker Röhrs: Nein, das Motto entfaltete sich im Rahmen der über vier Monate laufenden Beteiligung im Frühjahr 2021. Der Bezirk hat zum Glück für die Beteiligung der Kinder aus dem Kindergarten und der Blumengrundschule das Büro „stadt.menschen.berlin“ beauftragt. Die haben viel Erfahrung und konnten die Meinung der Kinder und ihrer Eltern behutsam erfragen. Da wird nichts vorgesetzt, sodass dann immer wieder überraschende Ideen entstehen.
Bild: B. Gericke
Neben den Ideen der Kinder flossen ja auch Anregungen aus der Nachbarschaft ein, nicht wahr?
Volker Röhrs: Stimmt, hier funktionierte die Beteiligung auf eine besondere Weise. Nicht wir haben eine Idee vorbereitet, die dann vielleicht nur durch wenige Details „ergänzt werden sollte“, sondern wir erhielten Input von vielen Akteuren. Wir sprachen mit der Beauftragten für Menschen mit Behinderungen, den Beschäftigten des Kindergartens und der Schule sowie mit den Eltern vor Ort. Auch die Mitglieder des Vereins „Eltern beraten Eltern“ haben uns aus ihrer Perspektive erklärt, was sie sich für ihre Kinder mit Beeinträchtigung wünschen. Es ist eben nicht so, dass wir nur Spielgeräte modifizieren müssen, um einen inklusiven Spielplatz zu haben. Der Belag, die Abstände zwischen den Spielinseln, die Tore zum Eingang: alles das gilt es anders zu denken. Und trotzdem: Unsere Spiellandschaft wird nicht komplett barrierefrei.
Manche glauben ja, es brauche keine inklusiven Spielplätze, da der Anteil von Kindern mit Einschränkungen nur im einstelligen Bereich liegt ...
Röhrs: Dem möchte ich widersprechen! Die Vorgaben aus der UN-Behindertenrechtskonvention von 2008 sind nicht ohne Grund in der Berliner Bauordnung gesetzlich geregelt. Danach müssen alle öffentlichen Bauten barrierefrei gestaltet werden. Ich verstehe das für meine Arbeit als Querschnittsaufgabe. Es ist gut so, dass wir keine Ausnahmen mehr bauen, sondern die Barrierefreiheit als Standard setzen. Das Förderprogramm Nachhaltige Erneuerung schafft für solche Pilotprojekte den finanziellen Rahmen, und das hat dann auch die beabsichtigte Initial-Wirkung.
Bild: B. Gericke
Welche Herausforderungen stellte diese Platzfläche an Sie als Planender?
Volker Röhrs: Wie Sie am Fortgang der Baustelle sehen, haben wir sie hier im ersten Bauabschnitt alle gemeistert! Beim Bauen im Bestand ist ja immer mit Überraschungen zu rechnen. Mit dem Bezirksamt galt es abzuwägen, wie die Anforderungen an Barrierefreiheit, Klima- und Artenschutz miteinander in Einklang zu bringen sind. Deshalb werden die Wege auf beiden Plätzen entgegen dem aktuellen Trend zu einem Drittel gepflastert, damit die Kinder im Rollstuhl sich selbst bewegen oder von Betreuungspersonen leichter geschoben werden können. Nicht nur mit dem Bezirksamt und der WBM als Inhaberin des Nachbargrundstücks haben wir hier gut zusammengearbeitet. Gefreut hat uns auch die aufgeschlossene Haltung der Firma Vattenfall. Mit ihrer Zustimmung war die vorhandene Fernwärmeleitung der Platzgestaltung nicht im Wege. Das gelbe Raumschiff – unser Klettergerät – konnte wie geplant, in der Platzmitte aufgestellt werden.
Bild: B. Gericke
Ungewöhnlich sind auch die anderen Spielgeräte hier auf dem Kleinkindplatz. Kaum eines scheint „von der Stange“ zu sein …
Volker Röhrs: Bei den Anbietern von Spielgeräten tut sich inzwischen eine Menge. Das besondere Karussell mit Rollstuhlzufahrt und die Wippe mit Fallschutz gibt es bereits aus dem Katalog. Aber einige Dinge haben wir mit dem Spielgeräte-Designer genau passend für diesen Platz entwickelt. Unser knallbunter „Kletter-Orbit“ bietet auf mehreren Ebenen Spielanreize für alle fünf Sinne für Kinder ohne und mit Beeinträchtigungen. Ein Novum sind auch die breiten Bänke unter dem Baum. Sie erfüllen gleich mehrere Funktionen: zum einen dienen sie natürlich zum Sitzen, zum anderen können die Kinder dort bei Bedarf schnell gewickelt werden. Zum dritten haben wir damit eine potenzielle Stolperstelle überbaut, die durch die Wurzeln einer alten Pappelgruppe entstanden war.
Nicht zu vergessen ist die „Wasserschildkröte“, ein Platz zum Matschen, der ebenso mit dem Rollstuhl unterfahren werden kann. Insgesamt ging es uns darum, den Platz nicht zu überfrachten, sondern den Kindern eine Chance zu geben, sich selbst etwas zuzutrauen, egal welche Beeinträchtigung sie haben. Das ist ja das Neue an inklusiven Plätzen: Die Kinder suchen sich eigene Wege, um mitzuspielen. Die Kinder trauen sich mehr, und auch ihre Eltern trauen ihnen mehr zu. Damit können im Vergleich zu herkömmlichen Spielplätzen manche Ängste genommen werden.
Wann wird es dort drüben, auf der anderen Straßenseite, weitergehen?
Volker Röhrs: Die beiden einstmals getrennten Spielplätze werden durch den Umbau der Krautstraße zur Fußgängerzone gestalterisch konsistent miteinander verbunden und damit optisch vergrößert. Die Bauarbeiten „drüben“, also im östlichen Bauabschnitt, beginnen Mitte des Jahres. Wenn es so läuft wie hier, ist der Abschnitt für die älteren Kinder im Frühsommer 2024 nutzbar.
Stand: März 2023
Kontakt
- Forchmann, Cornelia
- Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen
- Tel.: 030 90173 4795
- Kaden, Katja
- Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg
- Tel.: (030) 90298-3228
- Richter, Andreas
- Stadtkontor - Gesellschaft für behutsame Stadtentwicklung mbH
- Tel.: 0331 743 57 0